Strategien zum Schutz unserer Lieferketten in Krisenzeiten

Technology & Innovation

Die Folgen von Covid haben uns kalt erwischt. Plötzlich wurde uns bewusst, wie anfällig unsere Lieferketten sind. Müssen wir nun das seit Jahrzehnten bewährte Just-in-Time-Prinzip aufgeben? Mit Fokus auf Nordamerika stellen wir im Folgenden vier Strategien vor, um unsere Produktionssysteme besser vor Schocks zu schützen.

Darum gehts

  • Industrielle OEM-Hersteller von Kabelbäumen mit geringerem Volumen und höherem Mix müssen die Automatisierung dringend vorantreiben.

  • Ein digitales Ökosystem, das Transparenz in der Produktion gewährleistet, kann wertvolle Daten liefern, um unerwartete Lieferunterbrechungen zu verstehen und zu vermeiden.

  • Gemäss einer Studie von Deloitte verzeichnen Unternehmen mit Smart-Factory-Initiativen eine um 10% höhere Produktionsleistung, eine um 11% höhere Kapazitätsauslastung und eine um 12% höhere Arbeitsproduktivität.

In den 1970er-Jahren begannen Toyota und andere Unternehmen, schlanke Lieferketten zu entwickeln, die auf dem Prinzip der Just-in-Time-Fertigung (JIT) basieren. Ihr ultimatives Ziel ist es, einen ausgewogenen, schnellen Produktionsfluss zu gewährleisten, der genau auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten ist. Dafür kommen drei Strategien zum Einsatz: die Beseitigung von Störungen, die Verwendung flexibler Systemdesigns und die Beseitigung von Verschwendung (insbesondere von Beständen). Um die Ziele eines schlanken Produktionssystems zu erreichen, konzentrieren wir uns auf vier Bausteine: Produktdesign, Prozessdesign, Personal und Organisation sowie Planung und Kontrolle.

Outsourcing in Niedriglohnländer

In der Kabelbaum-Zulieferindustrie gewannen JIT und Lean Manufacturing in Nordamerika in den 1980er-Jahren stark an Akzeptanz, indem man sich auf die Fertigungsplanung (dezentrale Schneidtätigkeit) und die Montage (Verlagerung auf kostengünstige Arbeitskräfte) konzentrierte. Unter der Führung vieler grosser Automobilzulieferer wechselte die Produktion von einem Modell mit zentraler Schneidtätigkeit (oft in einem eigenständigen Werk) zu einem dezentralen Modell. Jetzt standen die Kabelverarbeitungsmaschinen in der Fabrik für die Kabelbaumfertigung. Mittelgrosse OEMs lagerten die Produktion häufig an lokale Hersteller oder Offshore-Zulieferer aus, um ihre Produktionslinie zu vereinfachen. Dank zollfreier Zonen konnten sie die Produktion auch nach Mexiko mit tieferen Arbeitskosten auslagern. In Ciudad Juarez und anderen Grenzstädten entstand eine hohe Konzentration von Maquiladoras für Kabelbäume.

In den 1990er-Jahren drangen die Hersteller weiter ins Innere Mexikos vor. Gleichzeitig entwickelte sich in China ein neuer Markt mit noch niedrigeren Arbeitskosten, und viele OEM-Hersteller verlegten ihre Produktionsstätten dorthin. Schlanke Lieferketten in Märkten mit niedrigen Arbeitskosten waren in den letzten 20 Jahren die treibende Kraft in der Kabelbaumindustrie.

Der Schock sass tief

Die Corona-Pandemie zeigte uns schockartig, wie empfindlich unsere Lieferketten sind. Nach dem totalen Stillstand der Wirtschaft war es äusserst schwierig, unseren kollektiven Wirtschaftsmotor wieder in Gang zu bringen. Darüber hinaus wurden unsere Lieferketten zusätzlich belastet, da sich die Nachfrage in den USA von Dienstleistungen auf Waren verlagerte.

Die meisten Hersteller stehen heute vor vier allgemeinen Herausforderungen in der Lieferkette: Logistikverzögerungen und -kosten, Engpässe bei Komponenten, Arbeitskräftemangel und Überraschungen in der Lieferkette. In einer Umfrage unter globalen Supply-Chain-Managern (2021) stellte McKinsey fest, dass 61% der Befragten eine Erhöhung der Lagerbestände als Strategie zur Bewältigung von Lieferunterbrechungen angaben.

Es sieht ganz so aus, als würden die Kabelbaumhersteller weiterhin unter Druck stehen. Die letzten zwei Jahre haben uns gelehrt, dass wir robustere Produktionssysteme entwickeln müssen, um diese gegen externe Schocks abzuschirmen. Aus den vier oben erwähnten allgemeinen Herausforderungen ergeben sich vier Strategien, die wir nachfolgend im Einzelnen erörtern.

Strategie 1: Nearshoring und Insourcing

Nach Angaben des globalen Online-Frachtmarkts Freightos verdoppelte sich die Transitzeit für Seetransporte von China in die USA zwischen 2018 und 2021 von 40 auf 80 Tage. Ausserdem stieg der Preis für den Transport von 40-Fuss-Containern von 4’500 auf über 20’000 Dollar. Für das laufende Jahr prognostiziert Freightos ähnliche Verzögerungen und Kosten. Daraus lässt sich ableiten, dass wir bei langen Transportwegen auch in Zukunft grosse Nachteile in Kauf nehmen müssen. Ein ähnliches Ergebnis ist in den USA beim Langstrecken-Trucking zu beobachten, wo höhere Kosten und längere Lieferzeiten zu verzeichnen sind. Die American Trucking Associations schätzt, dass in den USA im Jahr 2021 mehr als 80’000 LKW-Fahrer für den Fernverkehr fehlen werden, Tendenz steigend.

Eine McKinsey-Umfrage unter Führungskräften der globalen Lieferkette ergab, dass 90% der Befragten in den nächsten drei Jahren einen gewissen Grad an Regionalisierung anstreben. Murat Aksel, Einkaufschef von VW, wurde im Wall Street Journal zitiert: «Wir wollen immer noch wettbewerbsfähige Preise, aber meine Priorität ist die Sicherung der Versorgung. Ohne Komponenten kann man keine Autos bauen. Und null Produktion bedeutet null Gewinn.»

Daher sind Insourcing- und Nearshoring-Strategien in der Lieferkette derzeit auf dem Vormarsch, um Produktionssysteme vor Unterbrechungen zu schützen. Bei der Bewertung eines Standorts und der Gestaltung eines Produktionssystems ist es wichtig, die Vorteile kostengünstiger Arbeitskräfte gegen die Anfälligkeit der Lieferkette für Unterbrechungen abzuwägen. Mittelgrosse industrielle OEMs sind bei weit entfernten Lieferketten potenziell anfälliger, da ihr Produktionsvolumen und ihre logistischen Anforderungen zu gering sind. Nearshoring- und Insourcing-Strategien tragen dazu bei, Risiken in der Lieferkette zu beseitigen – einschliesslich Transportengpässen und geopolitischen Risiken. Zudem bieten sie den Vorteil eines geringeren Gesamtbestands und einer verbesserten Reaktionsfähigkeit auf wechselnde Anforderungen.

Strategie 2: Kabelbaum-Design vereinfachen und modularisieren 

Die Vereinfachung des Produktdesigns birgt ein grosses Potenzial. Je einfacher und gängiger die Designs, desto geringer der Bedarf an unterschiedlichen Komponenten. So können wir die Auswirkungen von Lieferunterbrechungen verringern, indem wir die Komplexität unserer Lieferkette reduzieren. Zudem erhöhen wir das Volumen der verbleibenden Komponenten und gewinnen mehr Einkaufsmacht bei unseren Zulieferern. Betrachten wir einen einfachen Kabelbaum für ein Industrieprodukt. Hier gilt: Je weniger unterschiedliche Kabelquerschnitte, Kabelfarben, Kontakten und Verbindungsstecker, desto besser das Design für die Lieferkontinuität.

Dies gilt insbesondere angesichts der wachsenden Herausforderungen industrieller OEM-Hersteller. Disruptive Technologien wie Konnektivität und IoT forcieren neue Konnektivitäts-Technologien und zwingen viele Unternehmen dazu, ihre elektrischen Systeme neu zu gestalten. OEMs sollten diese Gelegenheit nutzen, indem sie die Automatisierung durch Standardisierung und Modularisierung ihrer Kabelbäume fördern.

Strategie 3: Automatisierung

Schon vor der Pandemie schlitterte das Arbeitskräfteangebot in den USA in eine Krise. Das US Bureau of Labor Statistics schätzt, dass zwischen 2020 und 2030 die Zahl der über 65-Jährigen um 17 Millionen steigen wird im Vergleich zu 3.4 Millionen bei den 25 bis 64-Jährigen. Dies bedeutet einen Verlust von bis zu 13.6 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter. Covid verschärfte dieses Problem, indem es viele Pensionierungen beschleunigte und zahlreiche Menschen dazu veranlasste, ihre Berufswahl zu überdenken. 

Zwischen 2018 und 2022 verdoppelten sich die mexikanischen Mindestlöhne beinahe (von 88.36 auf 172.87 Pesos pro Tag), während der Wechselkurs zwischen Peso und Dollar nominell stabil blieb. Da sich das Nearshoring in allen Branchen fortsetzt und die Hersteller nach lokalen, kostengünstigeren Arbeitskräften suchen, wird sich der mexikanische Arbeitsmarkt weiter verengen und die Kosten steigen weiter.

Bei der Herstellung von Kabelbäumen für die Automobilindustrie in hohen Stückzahlen ist es zwar verständlich, dass man weiterhin auf kostengünstige Arbeitskräfte setzt, vor allem, wenn das Design standardisiert und wie oben beschrieben vor Unterbrechungen geschützt ist. Aber industrielle OEM-Hersteller von Kabelbäumen mit geringerem Volumen und höherem Mix müssen die Automatisierung dringend vorantreiben, denn die mexikanischen Arbeitsmärkte verlagern sich auf effizientere und profitablere Möglichkeiten. Zudem ist sie die beste Garantie für Versorgungssicherheit.

In den letzten 10 Jahren machte die Automatisierungstechnik grosse Fortschritte, mit einfacher zu bedienenden Plattformen mit höherem Automatisierungsgrad und kürzeren Einrichtzeiten. Hinzu kommt ein System mit physischen und digitalen Dienstleistungen, das eine hohe Gesamtanlageneffektivität (OEE) gewährleistet. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Kunde SPIE Nederland B.V., eine Tochtergesellschaft der SPIE-Gruppe und unabhängiger europäischer Marktführer für multitechnische Dienstleistungen.

Jahrelang produzierte SPIE die Kabelbäume in Handarbeit, inklusive Ablängen, Abisolieren und Anbringen von Aderendhülsen. Mit der Komax Zeta 640 erhielt SPIE eine flexible und komplette Automatisierungslösung, die bei SPIE für viel Begeisterung sorgte: «Jetzt konfektioniert die Zeta 640 die Kabelbäume für den Bestücker. So sind sie in kurzer Zeit fertig, während der mechanische Teil vorbereitet werden kann. Alles kann im Voraus vorbereitet werden, was die Durchlaufzeit verkürzt. Wir sparen 30–70% der Verdrahtungszeit, je nach Anzahl der Kabel pro Schaltschrank. Bei 100 ist die Zeitersparnis natürlich geringer, aber bei 4000 können es durchaus 70% sein. Wir profitieren auch davon, dass wir weniger Produkte herumstehen haben. Wir haben also mehr Produktionsfläche und damit eine höhere Kapazität.»

Strategie 4: Visualisieren und Analysieren mit einer digitalen Infrastruktur

Die grösste Herausforderung durch die Pandemie sind die ständigen Auswirkungen ungeplanter Produktionsverzögerungen. Wird die Vorlaufzeit verlängert, aber eingehalten, können wir zumindest um die neue Vorlaufzeit herum planen, um unseren Produktionsfluss auszugleichen. Aber Covid führt auch zu Engpässen in unserem eigenen System. Glücklicherweise gibt es dafür eine Lösung, indem wir ein digitales, transparentes Produktionssystem einsetzen. In seinem jüngsten Artikel erklärt Dr. Vishal Gaur vom SC Johnson College of Business in Cornell (NY), wie man IoT- und Blockchain-Technologien zur Stärkung von Lieferketten einsetzen kann. Dazu gehört die Verfolgung und gemeinsame Nutzung von Produktionsdaten mithilfe sicherer Blockchain-Designs. Daraus ergeben sich Vorhersagemodelle, die potenzielle Probleme in der Lieferkette erkennen können, bevor sie sich auf unser Produktionssystem auswirken.

Deloitte entwickelt ein dynamisches zirkuläres Modell, das eine Lieferkette nicht mehr linear betrachtet. Vielmehr dupliziert es das physische System durch einen digitalen Zwilling, der zur Visualisierung und Analyse des Produktionssystems dient. Diese Analyse löst Aktionen aus, um Störungen in unserer Versorgung zu beheben.

Sehr empfehlenswert sind auch Systeme, welche die Produktion in Echtzeit visualisieren und analysieren. Sie können frühzeitig potenzielle Lieferverzögerungen erkennen, so dass man sie mit geeigneten Massnahmen vermeiden kann. Gemäss McKinsey investiert jede untersuchte Branche in digitale Lieferkettentechnologie. In den Bereichen Automobilbau, Luft- und Raumfahrt, Verteidigung sind es sogar 100% aller Unternehmen.  

Es gibt auch schon Lösungen für die Kabelbaumindustrie. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Smart Cabinet Building Initiative, zu deren Gründungsmitgliedern auch Komax gehört. Durch die Vernetzung von Technologie und Know-how über alle Prozessschritte hinweg entwickelt sie integrierte Lösungen für aktuelle und zukünftige Herausforderungen im Schaltschrankbau – von der Komponentenauswahl über die Vormontage von Kabelbäumen, Geräten und Gehäusen bis hin zur unterstützten Endmontage und Prüfung vor der Inbetriebnahme. Grundlage für die Vernetzung der Prozessschritte ist der digitale Zwilling, eine vollständige digitale Beschreibung des Schaltschranks und seiner Komponenten, die sich zur Steuerung der Prozessschritte nutzen lässt.

Schaltschrankbau: Weidmüller SCB Komponente Drucker

Ob OEM oder Auftragsfertiger: Ein digitales Ökosystem mit hoher Produktionstransparenz liefert wertvolle Daten zum Verständnis und zur Vermeidung unerwarteter Lieferunterbrechungen.

Beste Ergebnisse mit einem ganzheitlichen Ansatz

Jede dieser vier Strategien schützt unsere Versorgungsketten und Produktionssysteme auf eine bestimmte Weise vor Störungen. Allerdings ist es angebracht, alle zusammen in einem ganzheitlichen Ansatz umzusetzen. Wir haben diese Strategien in einer hierarchischen Reihenfolge angeordnet, um die Auswirkungen auf die folgende Strategie zu verdeutlichen: Indem die Lieferkette näher zum OEM (Insourcing/Nearshoring) kommt, kann der Produzent das Produktdesign besser beeinflussen. Das verringert die Vielfalt der Komponenten. Dies wiederum erleichtert die Automatisierung, wodurch die Nutzung einer digitalen Infrastruktur ermöglicht wird.

Smart Factory by Komax: die Zukunft der Kabelbaumproduktion gestalten

Das Fertigungsmodell für die Kabelbaumproduktion entwickelte sich in den letzten Jahren enorm. Wichtigste Faktoren waren Industrie 4.0 und IoT. Bestes Beispiel ist die Smart Factory by Komax. Konsequent prägt sie die Zukunft der Kabelbaumproduktion durch fortschreitende Automatisierung, kürzere Einrichtzeiten und selbstlernende KI – alles innerhalb eines digitalen Ökosystems. Eine globale Studie von Deloitte untersuchte die Auswirkungen bei Unternehmen mit Smart-Factory-Initiativen. Diese erzielten im Durchschnitt eine um 10% höhere Produktionsleistung, eine um 11% höhere Kapazitätsauslastung und eine um 12% höhere Arbeitsproduktivität.

Sicherlich sind «Just-in-Case»-Bestände eine vernünftige Notlösung. Aber robuster und wirtschaftlich vorteilhafter sind Strategien, die mit unseren JIT-Zielen übereinstimmen. Das gilt insbesondere für industrielle OEMs in der Kabelbaumindustrie. Jetzt haben sie die Chance, auch in Krisenzeiten zu punkten.

Komax ist eine erstklassige Anlaufstelle zum Schutz Ihrer Lieferkette. Mit unserem fundierten Know-how automatisieren wir nicht nur Ihre Prozesse. Zu unserem Angebot gehören auch Software, Tools und Dienstleistungen, zum Beispiel das speziell für die Kabelverarbeitung entwickelte Manufacturing Execution System (MES) oder der Komax Connect Visualizer, ein Dashboard, das Ihnen Produktionsdaten in Echtzeit anzeigt und mit übersichtlichen Grafiken visualisiert. So wissen Sie immer, wie es um die Produktivität Ihrer Maschinen steht. Auf einen Blick können Sie den Output und die Qualität über verschiedene Standorte oder Maschinen hinweg vergleichen – zum Beispiel, welche Parameter das beste Verhältnis zwischen Menge und Qualität erzielen. Für weitere Informationen und Beratung wenden Sie sich am besten an Ihre Komax Niederlassung oder Vertretung.


Kontakt

John OlsenManaging Director Komax Brookfield

John verfügt über mehr als 33 Jahre Branchenerfahrung in der Kabelverarbeitung. Zurzeit leitet er unsere Niederlassung in Brookfield WI, USA, wo die Artos-Produktereihe entwickelt wird, und treibt darüber hinaus die Entwicklung des Komax Application (AP) Business für die nordamerikanischen Märkte voran.


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